Die Diagnose metastasierter Brustkrebs zwingt betroffene Frauen dazu, einen neuen, unbekannten Weg zu gehen. Die Psychoonkologin Dr. Mathilde Egger hilft, die anspruchsvollen Bergspitzen zu überwinden.
Dr. Mathilde Egger
Vizepräsidentin der ÖGPO, Fachärztin für Strahlentherapie/-onkologie, Psychotherapeutin, Psychoonkologin
Foto: ÖGPO
Diagnose: metastasierter Brustkrebs. Was geht in den betroffenen Frauen aus psychologischer Sicht vor?
Schon die Diagnose Brustkrebs ist ein tiefer Einschnitt in das Leben einer Frau und wird zumeist als Vertrauensverlust in den eigenen Körper empfunden. Nach der belastenden Therapie ist die Frau voller Hoffnung und Zuversicht. Die Erschütterung ist riesig, wenn dann Metastasen auftreten. Gefühle wie Enttäuschung, Wut, Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sind charakteristisch für diese Phase. Mit einem Mal zerspringt die Hoffnung, jemals wieder ganz gesund zu werden.
Wie gelingt es, diese neue Lebenssituation anzunehmen?
Das Annehmen ist ein Prozess und die Zeit ein wichtiger Faktor. Ich erlebe viele Frauen, die „wachsen“ in diese neue Gesundheitssituation hinein. Irgendwann sagen sie: „Ich kann leben, auch wenn ich nicht ganz gesund bin.“ Es ist ein Leben in einem anderen Bewusstsein, auch im Bewusstsein der Endlichkeit. Die sichere Zukunftserwartung, die ja per se illusionär ist, geht verloren. Vielmehr ist es ein Leben im Jetzt.
Sie haben das Bewusstsein der Endlichkeit angesprochen. Welche Rolle spielt die Auseinandersetzung mit dem Tod?
Vorweg: Auch mit einem metastasierten Brustkrebs kann man heute oftmals noch viele Jahre leben. Ich habe über zehn Jahre eine Dame mit Knochenmetastasen begleitet, die weiterhin ihren Bauernhof geführt hat und eine gute Lebensqualität hatte. Natürlich beschäftigt die Konfrontation mit dem Tod alle. Darüber zu sprechen, braucht viel innere Sicherheit, Vertrauen und Mut.
Weil die Betroffenen ihre Familie und ihre Freunde nicht belasten wollen?
Auch, ja. Für die Angehörigen ist die Situation manchmal fast noch schwieriger zu ertragen, und die Angst, dass der geliebte Mensch stirbt, wird von sich gestoßen. Sätze wie „Du stirbst nicht, alles wird gut. Du musst positiv denken“ können für die Betroffenen ungemein belastend sein und Druck erzeugen. Unser starkes Zukunftsdenken macht es schwierig.
Immer wieder hört man von Betroffenen, dass sich nahe Angehörige und Freunde zurückziehen. Weshalb?
Oftmals ist ein Zurückziehen die Folge von eigener Angst, Unsicherheit und Überforderung. Die Schwierigkeit beginnt, wenn Freunde und Angehörige glauben, dass sie Problemlöser sein müssen, und damit natürlich komplett überfordert sind. Vielmehr sollen sie aber Begleiter und Unterstützer sein. Zudem leiden die Angehörigen ebenfalls und sitzen im selben Boot. Auch sie brauchen Begleitung, damit sie mit der neuen Situation zurechtkommen und für die Betroffenen tragfähig sind.
Stichwort Tragfähigkeit – wie gelingt diese?
Wichtig ist eine offene und konkrete Kommunikation: „Wie kann ich dir jetzt im Moment helfen, was brauchst du?“ Eine offene Kommunikation ist nicht einfach und braucht Mut. Aber sie hilft in diesem Prozess ungemein, nimmt Ängste und schafft Vertrauen.
Welche Ratschläge geben Sie Betroffenen?
Ratschläge sind schrecklich und zumeist wahre Schläge! Ich sehe meine Rolle als Begleiterin auf einer anspruchsvollen Bergtour. Ich kann dabei die Frau weder tragen noch ihre Problemlöserin sein, aber ich kann sie unterstützen und über die Bergspitzen begleiten. Ein ganz wichtiger Satz ist für mich: „Wir müssen die gesunden Seiten pflegen, damit die kranken nicht überhandnehmen.“ Die Krankheit ist zwar nicht heilbar, aber der Körper hat noch viele gesunde und leistungsfähige Seiten.
ÖGPO
Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage der ÖGPO: www.oegpo.at